Hagelunwetter 1891


Schilderung der Zeitzeugin Minna Wöbbecke, geb. Vollmer in Herkensen

(Günter Meywerk)


Meine (Günter Meywerk) Großmutter Minna Wöbbecke, geb. Vollmer, geb. am 9. April 1878 hat mir ihre Erlebnisse über den Verlauf des Hagelunwetters in Herkensen geschildert. Sie hat das Ereignis in ihrem Elternhaus als 13-jähriges Kind erlebt. Danach färbte sich der Himmel über Herkensen am 1. Juli 1891 zunehmend rot. Die Menschen ahnten, dass ein Unwetter bevorstand. Der schließlich einsetzende Hagel bestand aus ungewöhnlich großen Eisklumpen („Schlossen“ genannt), die einzeln gerade so in eine Hand passten.

Die Mutter (meine Urgroßmutter Friederike Vollmer, geb. Sporleder) und die Kinder hatten große Angst, weil der Vater (mein Urgroßvater Heinrich Vollmer, „Anbauer und Forstschutzgehülfe“ sich außerhalb des Hauses bei der Feldarbeit befand. Sie saßen auf der Innentreppe des Hauses und beteten um sein Leben. Währenddessen durchschlugen die Hagelklumpen die Dachpfannen und rollten die Treppenstufen hinunter. Auch die Fensterscheiben des Hauses gingen zu Bruch.

Mein Urgroßvater konnte sich jedoch vor dem Hagelschlag schützen, indem er neben einem Feldweg in ein Wasserdurchlassrohr unter einer Ackerzugangsbrücke kroch. Die Familie war sehr dankbar, als er nach dem Unwetter unversehrt nach Hause kam.

Im Ergebnis hatte der Hagelschlag schwere Schäden an Gebäuden, Feldern und Gärten verursacht. Dächer und Fensterscheiben waren zerstört. Auf den Feldern und in den Gärten waren Getreide, Feldfrüchte, Obst und Gemüse zerschlagen. Ernten waren in dem Jahr kaum mehr zu erwarten.

Als Notmaßnahme wurden sogenannte „Pluckrüben“, wohl so eine Art Steckrüben angebaut, die im selben Jahr noch heranreiften und wenigstens im Winter als Gemüsenahrung zur Verfügung standen.

An den Gebäuden mussten unter anderem natürlich die gebrochenen Dachziegel und zersplitterten Fensterscheiben ersetzt werden. Fensterglas in großen Mengen gab es aber nur in den Städten zu kaufen. Also machte sich mein Urgroßvater mit einer Schubkarre zu Fuß auf den etwa 8 km langen Weg nach Hameln, um die für ihn erforderliche Menge Fensterglas zu erwerben. Dort angekommen musste er feststellen, dass inzwischen alle Fensterglasvorräte an viele andere Geschädigte aus allen betroffenen Ortschaften verkauft waren.

Die nächste Möglichkeit, Fensterglas zu erwerben, gab es dann erst in Hannover. Also machte mein Urgroßvater sich auf den querfeldein gut 30 km langen Weg nach Hannover und konnte dort die erforderliche Menge Fensterglas erwerben. Nach meiner Erinnerung an die Schilderung soll er die Strecke ebenfalls zu Fuß mit einer Schubkarre zurückgelegt haben.

Dass mein Urgroßvater für den Transport nicht Pferd und Wagen eingesetzt hat, wird daran gelegen haben, dass er als „Anbauer“, d.h. als Landarbeiter für einen größeren landwirtschaftlichen Betrieb mit der Möglichkeit einer geringen Landnutzung für den eigenen Bedarf über kein eigenes Pferd verfügte. Die „Anbauer“ nutzten für ihre eigenen kleinen Feldarbeiten allenfalls schwerfälliges Hornvieh (Kühe, Ochsen), welches für lange Wegstrecken nicht geeignet war.